WIENWOCHE 2015 verlässt die Wohlfühlzonen!

„Harmonija, na ja …“: in die Geisterbahn, zum Boxclub und ins Kleynkunst Theater. 17 Projekte sind von 18. September bis 3. Oktober 2015 Störmanöver gegen die Harmonie.

Von 18. September bis 3. Oktober 2015 setzt die vierte Ausgabe des Wiener Kulturfestivals WIENWOCHE unter dem Titel „Harmonija, na ja …“ auf Ruhestörung. 17 Projekte legen sich mit dem „goldenen Mittelweg“ an und würdigen dabei Dissens und Konflikt als Triebkräfte sozialer und kultureller Entwicklung. Sie durchstöbern Gebrauchsanleitungen aus den Erinnerungen an die Vergangenheit und entwickeln solche für die Archive der Zukunft: 17 Denkanstöße und Denkmäler für Widerreden und  Widersprüche.

Wie in den vergangenen Jahren präsentiert WIENWOCHE auch 2015 eine breite Palette an gesellschaftskriti­schen künstlerischen Formaten: Zum Auftakt des Festivals führt eine Geisterbahn­fahrt im Wiener Prater durch den „Graus der Geschichte“ und in die Untiefen der österreichischen Vergangenheit. Ein queer-feministischer Boxclub knüpft an die Tradition jüdischer Sportvereine in Wien an. Der ehemalige Sans Papier Mohamed Mouaz bereist im Roadmovie „Auf nach Europa“ die Stationen seiner Fluchtroute vom algerischen Tiaret nach Wien. Das Berliner Zentrum für Politische Schönheit setzt seine Aufsehen erregende politische Aktionskunst fort und startet die „Operation Elmsfeuer“.

„WIENWOCHE 2015 will gute, aber keine Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Geschichten, die von den Geistern einer Vergangenheit handeln, an die nicht gerne erinnert wird. Geschichten, die die verdrängten Taten einstiger großer ‚Held_innen‘ von anno dazumal in den Mittelpunkt rücken. Und nicht zuletzt Geschichten, in denen künftige Taten geplant werden, mit denen so gut wie niemand rechnet“, erläutern Can Gülcü und Radostina Patulova, die 2015 zum letzten Mal Programm und Organisation von WIENWOCHE verantworten.

Wie kaum ein anderes Kulturfestival in Wien ermöglicht WIENWOCHE die Verwirklichung dissidenter künstlerischer Projekte. Die Orte und Formen ihrer Umsetzung könnten unterschiedlicher nicht sein: Der Bogen spannt sich vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands bis zum Wurstelprater, vom Gymnasium in der Brigittenauer Karajangasse bis ins Weltmuseum, vom Richard Wagner Park in Ottakring bis zur Universität Wien.

Die Eröffnungsparty – wie alle Veranstaltungen von WIENWOCHE bei freiem Eintritt – zitiert keinen Geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart. „Beym Arsch ist’s finster“ verspricht eine taktlose Revue mit neu interpretierten Wiener Klassikern und ein Fest für alle Wiener_innen von unten. Musiker_innen wie 2/8erl in Ehr’n, Fatima Spar Quintett, oder Nitro Mahalia feat. Gustav lassen mit eigenen Songs, extremen Covers und bizarren Sounds aufhorchen, die ein Stadtbild jenseits von Kitsch und Klischees vorstellen.

„Proteste der etwas anderen Art“

The Black Her*Stories Project“ realisiert die ersten queeren Schwarzen feministischen Filmtage in Wien: mit Kurz-, Spiel- sowie Dokumentarfilmen, die kämpferisch, künstlerisch oder humoristisch soziale Kämpfe und Bewegungen sichtbar machen. Im mehrsprachigen Audiotheater „65 Jahre Klassenharmonie“ erzählen „Gastarbeiter_innen“ und Geflüchtete, Gewerkschaftsbosse und Streikende ein Stück österreichischer Zeitgeschichte: jene von der Sozialpartnerschaft, die als Stütze der Klassenharmonie unliebsame Arbeitskämpfe untergraben, verhindert oder niedergeschlagen hat.

Das Gehör für die gesellschaftlichen Verhältnisse schärfen auch die „Prekärparcours“: Im Rahmen geführter Audiospaziergänge fragen sie anlässlich der 650-Jahre-Feierlichkeiten der Universität Wien nach prekären Zuständen an der Alma Mater und erzählen von Kämpfen um deren Beseitigung. Die Vienna Shorts Agentur lädt ebenfalls zum Stadtwandern. „Money Walks“ sind Protestkundgebungen der etwas anderen Art: Kurzfilmspaziergänge verwandeln den öffentlichen Raum in cineastische Konfrontations- und Projektionsflächen für die Auseinandersetzung mit der Ökonomisierung der Gesellschaft.

Grabe-wo-du-stehst“

Wie schon im vergangenen Jahr schleicht sich WIENWOCHE in das derzeit wegen Umbaus geschlossene Weltmuseum ein, um blinde Flecken und politische Zusammenhänge des ethnografischen Sammelns und Ausstellens zu thematisieren. Im Rahmen der Ausstellung „Wer hat Angst vor dem Museum?“ legen lateinamerikanische Künstler_innen in ihren künstlerischen Arbeiten und Performances das koloniale Fundament des Weltmuseums frei. Die Installation „Juden schauen“ thematisiert stereotypisierende Blicke auf Jüdinnen und Juden und zeigt künstlerische Arbeiten, die die Perspektive umkehren und „zurückschauen“. Untersucht werden die Sammlungen des Weltmuseums und des Volkskundemuseums Wien hinsichtlich alter und aktueller Klischees.

Wie funktioniert Erinnerungsarbeit und zeitgeschichtliche Aufklärung ohne Zeitzeug_innen? Lassen sich aus der Auseinandersetzung mit eigenen (Familien)Geschichten Handlungsanleitungen für die Gegenwart gewinnen? Zwei Projekte im Rahmen von WIENWOCHE 2015 formulieren Antworten auf derartige Fragen. Mit ihrem „Gedächtniswerkzeug“ „MemoryGames“ will Künstlerin Nina Prader ein aktives, dialogisches Gedenken zwischen Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Erfahrungen in Gang setzen. Das Diskussionscafé „Was hast du mitbekommen?“ erkundet gegenwärtige Handlungsspielräume, die sich aus der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ergeben. Im Zentrum steht die Frage: Was tun mit dem eigenen Vermächtnis?

„Dei Harmonie is ned mei Harmonie“

 Handlungsspielräume ausloten – und nutzen! Eine Devise, die auch für die beiden folgenden Projekte gilt: Im Rahmen der Aktion „Gemma Richard?“ rappen, performen und tanzen Jugendliche in „ihrem Park“, dem Richard Wagner Park in Wien-Ottakring, gegen die Einschränkungen, die ihnen im öffentlichen Raum und im Leben auferlegt werden. Das Diskussions- und Vernetzungsforum „Ziviler Gehorsam?“ versammelt Protagonist_innen einer engagierten Asylpolitik in der Volkshochschule Ottakring. Wie andernorts schwimmen auch in Österreich Menschen gegen den Strom und widersetzen sich der Asyl- und Grenzpolitik der EU sowie der österreichischen Bundesregierung. Auf der Bühne stehen Gemeindevertreter_innen von Alberschwende bis Neudörfl sowie Aktivist_innen zahlreicher Initiativen, die ihren Gehorsam den Menschenrechten schenken.

In Dieter Kaufmanns Musiktheater „Lampedusa“, nach Elfriede Jelineks Bühnenstück „Die Schutzbefohlenen, singen junge Darsteller_innen im Odeon Theater gegen die menschenfeindliche europäische Grenzpolitik an. Zum Ausklang von WIENWOCHE 2015 treffen schließlich beim „KleynKunst Theater“, im Vindobona Bühnenkunst der Zwanzigerjahre auf queere Performance oder jiddische Schlager aus Moldawien auf Kabarett aus Berlin-Kreuzberg.

„Wer das Heute hinterfragt, den Alltag und die Wünsche, das Jetzt und die Utopie, muss die unheimlich gewordene Harmonie unterbrechen und neu verhandeln. Nicht einverstanden sein, anecken, dazwischenfunken, Sand ins Getriebe streuen, entgegentreten, durchkreuzen, behindern. Und gleichzeitig: entdecken, fantasieren, erfinden, vorausdenken, planen, organisieren, eingreifen. Letztlich Wege finden, um Demokratie, Frieden, Gleichheit und Wohlstand miteinander zu teilen, also: stören, um zu verändern! In diesem Sinne: Lassen Sie sich nicht stören, stören Sie lieber mit!“ so das WIENWOCHE Leitungsteam Can Gülcü und Radostina Patulova abschließend.

Über WIENWOCHE

Träger des Kulturprojekts WIENWOCHE ist der 2011 gegründete Verein zur Förderung der Stadtbenutzung. Sein Ziel ist es, die Entwicklung gesellschaftspolitischer und kultureller Handlungsräume für künstlerische, soziokulturelle und zivilgesellschaftliche Akteur_innen – auch im Sinne einer Rückeroberung städtischen öffentlichen Raumes – zu fördern. Für die künstlerische Leitung und Geschäftsführung von WIENWOCHE sind seit 2012 Can Gülcü, Radostina Patulova (bis 2014 gemeinsam mit Petja Dimitrova) verantwortlich. Mit 1. Jänner 2016 übernehmen Nataša Mackuljak und Ivana Marjanović diese Aufgabe.

Das Gesamtbudget von WIENWOCHE 2015 beträgt € 453.000,– und wird zu hundert Prozent aus Mitteln der Stadt Wien / MA7 bestritten.

Details finden Sie in der Medieninformation.